Aus der Haustür raus und lospilgern – ein Gedanke, der mich schon lange fasziniert hat. Jetzt habe ich mir den Wunsch, den Westfälischen Jakobsweg zu gehen, erfüllt. Sechs Tage bin ich rund 100 Kilometer zu Fuß von Münster nach Wesel gepilgert.
Nachdem ich vor ziemlich genau drei Jahren den Portugiesischen Jakobsweg von Porto bis nach Santiago de Compostela gepilgert war, hatte ich zunächst gedacht, das Pilgern hätte sich vorerst für mich erledigt. Eine wundervolle Pilgerreise lag hinter mir, mit vielen Überraschungen und Zufällen, besonderen Begegnungen und Erkenntnissen, die auf keinen Fall wiederholbar, geschweige denn zu überbieten wären.
Vielleicht würde ich mich irgendwann einmal, zu Beginn meines Rentenalters oder so, wieder auf Pilgerschaft begeben. Aber erst mal hatte ich genug Eindrücke, um ein ganzes Buch darüber zu schreiben (mehr dazu demnächst).
Anfang dieses Jahres nun, als ich mir überlegte, welche Ziele ich 2025 erreichen möchte, tauchte das Thema Pilgern aber schon wieder ganz oben auf meiner Liste auf. Nicht nur wohne ich direkt am Westfälischen Jakobswegs, der die Städte Bielefeld und Wesel verbindet, und sehe regelmäßig die gelbe Muschel auf blauem Grund an Bäumen und Laternenpfählen leuchten. Auch die Vorstellung, ohne weite Anreise, direkt von zu Hause aus zum Pilgerort Santiago de Compostela aufzubrechen, wohin alle Jakobswege durch Europa wie in einem Netzknoten zusammenlaufen, begeistert mich.
Am Dienstag nach Ostern war es dann soweit. Ich hatte mir den Rest der Woche freigenommen und sechs Tage Zeit gegeben, die Strecke durch das westliche Münsterland bis zum östlichen Niederrhein zurückzulegen.
In diesem Artikel nehme ich Dich mit auf den Westfälischen Jakobsweg!
Vorbereitungen
Wie der Westfälische Jakobsweg exakt verläuft und wo ich übernachten kann, habe ich im Vorfeld u.a. auf dieser Webseite des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe recherchiert. Dort gibt es eine zoombare Karte, auf der man jeden kleinen Feldweg erkennen kann, ein Höhenprofil (die höchste Erhebung in den Baumbergen beträgt 158 Meter) und eine Übersicht der Stempelstellen für das Pilgerbuch.
Die Tagesetappen hatte ich mir so eingeteilt, dass ich täglich etwa zwischen 15 und 20 Kilometer gehen musste. Meine Unterkünfte entlang des Weges hatte ich vor der Reise reserviert. Wenn Du mehr über meine Ausrüstung und mein Gepäck erfahren möchtest, hinterlasse gerne einen Kommentar am Ende des Artikels!
1. Tag: Münster – Schapdetten
Meine erste Etappe auf dem Westfälischen Jakobsweg war für den Start für meine Verhältnisse ambitioniert geplant: Mangels alternativer Übernachtungsmöglichkeiten hatte ich mich entschieden, von meiner Wohnung aus über 20 Kilometer bis nach Schapdetten zu laufen. Eigentlich etwas viel für den Einstieg. Doch ich ging das Pilgern langsam an und nahm mir vor, viele Pausen einzulegen.
Als ich losging und die Gurte meines Wanderrucksacks noch nachjustierte, kam ich mir noch völlig fehl am Platz vor: Radfahrer schnellten an mir vorbei, Baustellen verbreiteten Lärm und Passanten eilten geschäftig voran. Die ersten Meter wollte ich so schnell wie möglich hinter mich bringen.
Im LWL-Landeshaus holte ich meinen allerersten Stempel für den Pilgerpass ab. Neugierig erkundigte ich mich, ob noch andere Pilger unterwegs wären. Die Antwort der Dame am Empfang enttäuschte mich: Aktuell nicht, die meisten würden nur am Wochenende pilgern.
Ich hatte zwar nicht erwartet, dass ich auf dem Westfälischen Jakobsweg so viele Pilger wie in Portugal oder Spanien treffen würde. Aber ganz allein zu pilgern erschien mir auf einmal ziemlich komisch.
Meine nächste Anlaufstelle war der Domplatz im Herzen von Münster. Im Dom zündete ich eine Kerze an mit dem stillen Wunsch für eine gesunde Reise. Nebenan, am gerade vakanten Bischofssitz, wurde gerade die Kirchenfahne auf Halbmast gehisst. Einen Tag zuvor war Papst Franziskus gestorben.
Die Muschelsymbole führten mich weiter durch die Innenstadt, am Münsteraner Schloss vorbei und schließlich entlang des Aasees zum westlichen Stadtrand. Um 11 Uhr kehrte ich das erste Mal für eine Tasse Cappuccino ein. Mein Timing war perfekt – das Café hatte gerade aufgemacht.
Die Pause nutzte ich, um ein paar Gedanken in ein kleines Notizbuch zu schreiben. Kurz vor dem Aufbruch heute Morgen war ich nervös gewesen. Hatte ich alles Wichtige eingepackt? Was würde mich erwarten? Hatte ich mir zu viel vorgenommen? Nur Minuten nach dem Losgehen war ich in einer Unterführung an einem Plakat vorbeigelaufen, auf dem stand: „Unbox your mind“. Ob ich damit gemeint war?
Ich blickte vorbei an den Segelbooten über den See. Es war kühl und windig.
Weiter ging’s durch ein Wäldchen und über Feldwege. Eine junge Reiterin auf ihrem braunen Pferd kreuzte meinen Weg. Sie war außer Atem und lobt ihren Vierbeiner überschwänglich. Ich stellte mir vor, wie sie kurz zuvor im Galopp über die grünen Wiesen geprescht war.
Im Schritttempo ging es für mich weiter über eine vielbefahrene Straße, an mehreren Bauernhöfen vorbei und unter einer Autobahnbrücke hindurch.
In Roxel machte ich als nächstes Halt. In der Kirche in der Ortsmitte waren bereits ein Bild des verstorbenen Papstes, eine Kerze und ein Trauerbuch ausgelegt, in das ich mich eintrug. Vor der Kirche auf einer Bank aß ich meine mitgebrachte Brotzeit.
Der weitere Weg führte mich auf einer schmalen Asphaltstraße entlang. Neben mir fuhren Autos. Das Wetter wurde immer besser. An einem unbeschrankten Bahnübergang hörte der Weg plötzlich auf und ich musste in einem günstigen Moment über die Fahrbahn eilen, um weiterzukommen.
Außer mir waren ausschließlich Senioren mit E-Bikes unterwegs. Pilger sah ich keine.
Irgendwann am Nachmittag tauchte der Turm von Stift Tilbeck zwischen Baumwipfeln auf. Darauf hatte ich mich schon gefreut: In dem hauseigenen Café gibt es selbstgemachten Kuchen. Und den nächsten Pilgerstempel. Einen Abstecher unbedingt wert!
Der letzte Abschnitt der Etappe bis Schapdetten war nicht mehr weit, aber für mich wurde er lang. Meine Füße, Knie und die Hüfte pochten angesichts der ungewohnten Belastung. Vorbei am mysteriösen Mordkreuz und den Sieben Quellen erreichte ich schließlich gegen 16 Uhr mein Tagesziel, das Hotel zur Alten Post.
Nach dem Einchecken kann man sich noch im Dorfladen mit Getränken und Snacks versorgen. In der Kirche nebenan liegt ein Pilgerstempel aus.
2. Tag: Schapdetten – Kloster Gerleve
Ich hatte schlecht geschlafen und es regnete. Irgendwie typisch für den Beginn einer Pilgerreise. Oder lag es am Münsterland?
Der Jakobsweg lag am Morgen umso schöner vor mir: Bis nach Nottuln führten ruhige Wege zwischen saftig grün und leuchtend gelben Feldern entlang. Die Kirsch- und Apfelbäume standen gerade in rauschender Blüte.
Vorbei an gepflegten Bauernhöfen, auf deren umzäunten Wiesen wahlweise Kühe, Pferde, Schafe oder Hühner umherliefen. Menschen begegnete ich selten. Anderen Pilgern gar nicht.
Als ich im Ortskern von Nottuln auf eine Gruppe vor einem Geschäft wartender Menschen traf, kam ich mir schon wie ein Einsiedler vor. Wie schnell man sich doch an die Stille des Weges gewöhnt!
Nachdem ich mir den Stempel in der Kirche selbst gesetzt hatte, legte ich Mittagspause in der Alten Amtmannerei ein – einem modernen Bistro in einem historischen Gebäude. Eine Gruppe Kinder kam herein. Sie machten eine Stadtrallye und erkundigten sich bei dem Personal nach einem Wanderweg mit „L“. Ich wusste, dass es sich dabei um den Ludgerusweg nach Billerbeck handelte, dem Sterbeort des Heiligen Ludgerus, dem ersten Bischof von Münster. Teilweise verläuft er genauso wie mein Weg mit „J“.
Von der zweiten Hälfte dieser Etappe bleibt mir ein malerischer Hohlweg in Erinnerung – ein alter Postweg hinter Darup, der nach Jahrhunderten der Nutzung metertiefe Spuren im Wald hinterlassen hat. Wenn man ihn geht, fühlt man sich wie in eine andere Zeit versetzt. Dorthin möchte ich irgendwann noch einmal zurückkehren.
Der Rest des Weges war weniger erholsam. Ich musste eine Bundesstraße auf der Höhe eine Baustelle überqueren, verpasste später eine Abzweigung und stand plötzlich am Ende eines Weges vor einem Feld. Über mir brauten sich dunkle Wolken zusammen.
Eilig stapfte ich quer durch einen Wald, um wieder auf den richtigen Weg zu kommen. Gerade noch rechtzeitig, bevor der Regen losprasselte, erreichte ich eine überdachte Bushaltestelle. Bis zu meiner Unterkunft war es aber auch nicht mehr weit und der Regen hörte bald auf.
Als Pilger in der Benediktinierabtei Geleve zu übernachten, war mich etwas ganz Besonderes. Obwohl, oder gerade weil die Zimmer schlicht eingerichtet waren. Die Begrüßung am Empfang war sehr herzlich und die Glocken der Klosterkirche ließen mich immer wieder achtsam werden.
Im Buch mit den Regeln des Heiligen Benedikt, das auf meinem Zimmer auslag, entdeckte ich folgenden Abschnitt:
„Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus: denn er wird sagen: „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen.“ (Mt 25,35)
Allen erweise man die angemessene Ehre, besonders den Brüdern im Glauben und den Pilgern. (Gal 6,10)“
Regel des Hl. Benedikt
3. Tag: Kloster Gerleve – Velen
Frühstück gibt es im Kloster um Punkt 8 Uhr. Neben mir saßen noch ein älteres Ehepaar, eine Mutter mit Kind und eine Dame im mittleren Alter im Frühstücksraum.
Bald unterhielt sich die Dame angeregt mit einer Servicekraft über den verstorbenen Papst. In welchem Moment hatten sie von der Nachricht seines Todes erfahren? Ich kam nicht umhin, mitzuhören. Beim Mittagsgebet am Montag wäre es jedenfalls noch nicht angesprochen worden!
Gegen 9 Uhr verließ ich das Gästehaus des Klosters. Da es wie schon in der Nacht stark regnete, beschloss ich, mich noch ein wenig auf dem Gelände umzusehen. Als ich den Kirchraum betrat, hatte gerade die Morgenmesse begonnen. Ich setzte mich in die letzte Bank und hörte zu. Die Gregorianischen Gesänge der Mönche erzeugten im kompakten Kirchenraum einen durchdringenden Klang. Irgendwo hatte ich gelesen, dass bestimmte Frequenzen eine heilende Wirkung hätten. Vielleicht war da etwas dran.
Nach dem Gottesdienst regnete es immer noch. Kurz überlegte ich, mit dem Bus weiterzufahren. Den Vormittagsbus hatte ich allerdings schon verpasst. So beschloss ich, doch bei Regen in Richtung Coesfeld zu laufen. Ich war ja schließlich nicht nur ein Schönwetterpilger.
Es ging immer geradeaus zwischen Raps- und Weizenfeldern entlang. Blühende Kirschbäume flankierten den sanft auf- und absteigenden Weg. Das einzige, was die Idylle störte, waren die Autos, denen ich auf der schmalen Straße ausweichen musste.
In Coesfeld in der Lambertikirche entdeckte ich eine Statue des Heiligen Jakobus, dem Apostel, dessen Grab sich der Legende nach in Santiago de Compostela befindet. Den Pilgerstempel bekommt man nebenan in der Touristeninformation. Für das Mittagessen wählte ich eines der Restaurants am Marktplatz.
Immer noch regnete es, als ich zur zweiten Hälfte der Tagesetappe aufbrach. Aus der grau gefärbten Stadt heraus führte der Weg nun einen längeren Abschnitt durch den Wald. Ich traf nur zwei Spaziergänger mit Hund.
Am Ende des Waldes musste ich eine Weile am Rand einer Fahrbahn entlanggehen, um auf dem Jakobsweg zu bleiben. Für den Stress entschädigte mich der Jakobsweg gleich wieder durch ein schönes Stück durch ein Heidegebiet. In völliger Ruhe zog ich an brütenden Vögeln und grasenden Rindern vorbei.
Kurz vor meinem Tagesziel legte ich im Örtchen Hochmoor noch eine Kaffee- und Trockenpause ein. Den Schmandkuchen in der Bäckerei Mensing kann ich empfehlen. Dort bekam ich sogar einen weiteren Stempel und plauderte mit der Bedienung ein wenig übers Pilgern.
Das Neubaugebiet von Velen, dem Etappenziel, zog sich für meinen Geschmack etwas zu lange hin. Der Kern des Städtchens mit seinem imposanten Wasserschloss ist wiederum sehr sehenswert. Mein Hotel, Coesfelder Tor, lag perfekt: Supermarkt und Drogerie gegenüber, ein italienisches Restaurant nur 5 Minuten entfernt.
Die eine Hälfte des Westfälischen Jakobswegs lag jetzt hinter mir. Und ich hatte noch keine einzige Blase!
Wie es auf der zweiten Hälfte auf dem Westfälischen Jakobsweg weiterging und mit wem ich ein Stück gelaufen bin, liest Du in Kürze auf diesem Blog.
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Zum Weiterlesen empfehle ich Dir besonders folgende Artikel.
- 12 Lehren vom Jakobsweg
- Wie ich mich auf den Jakobsweg vorbereite
- 4 Ideen für eine Auszeit vom Alltag vor der Haustür
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Seneca
für den gibt es keinen günstigen Fahrtwind.“
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Liebe Rebecca,
schön, dass auch Du Dich auf den (Jakobs-)Weg gemacht hast!
Hast Du Dir schon überlegt, welche Route Du durch Frankreich gehen möchtest? Ich habe mich 2016 für die Via Gebennensis und die Via Podiensis entschieden, die ich Dir ans Herz legen kann.
Bin gespannt, wie es bei Dir weitergeht.
Buen Camino
Christof
Lieber Christof,
wenn der Camino ruft, muss man folgen 😉
Soweit habe ich noch nicht vorausgeplant. Vielleicht gehe ich ja auch ab Wesel weiter?
Viele liebe Grüße
Ultreia!
Rebecca