Zum Einstieg möchte ich Dir drei Fragen stellen:
Kennst Du das Gefühl, alle Zeit der Welt zu haben?
Fällt es Dir leicht, einfach Mal Nichts zu tun?
Kannst Du Dich gut auf ein Buch oder einen Spielfilm konzentrieren?
Wenn Du eine oder mehr Fragen mit Ja beantwortet hast, gratuliere ich Dir! Du hast Deine Aufmerksamkeit im Griff. So wie Dir geht es allerdings immer weniger Menschen.
Das Gefühl, dass einem die Zeit davonläuft, ist weit verbreitet – obwohl bereits jede freie Minute mit Aktivitäten gefüllt ist. Vielleicht gerade deswegen.
Ironischerweise langweilen sich viele von uns, sobald einmal nichts passiert oder sie sich nicht ablenken können. Kaum zu ertragen, für ein paar Minuten an der Supermarktkasse zu warten.
In Bewerbungsgesprächen wird Ungeduld sogar als positive Schwäche dargestellt. Dabei ist Geduld eine Voraussetzung für langfristigen Erfolg.
Das beklemmende Gefühl, in einer Art Hamsterrad zu laufen. Ohne jemals Zeit für die wichtigen Dinge im Leben zu haben.
Man sagt, Aufmerksamkeit sei die wichtigste Ressource unserer Zeit. Ohne sie können wir Nichts von Wert schaffen oder Zufriedenheit in unserem Tun finden. Doch inzwischen ist unsere Aufmerksamkeitsspanne angeblich kürzer als bei Goldfischen.
Die Fähigkeit, seine Aufmerksamkeit über einen längeren Zeitraum voll und ganz auf eine Sache zu lenken, ist mittlerweile selten geworden. Statt zum Roman greifen wir lieber zum Handy und während wir eine TV-Sendung sehen verfolgen wir den passenden Hashtag im Internet.
Die Gründe für die allgemeine Gehetztheit sind vielschichtig. Die Schnelligkeit sozialer Medien, deren Tempo wir uns anzupassen versuchen, ist einer. Hinzu kommen gestiegene Arbeitsanforderungen, die Angst, das Beste zu verpassen, und hohe Erwartungen an uns selbst.
Soziale Medien: Aufmerksamkeit um jeden Preis
In den letzten Jahren haben soziale Medien einen immer größeren Raum in unserem Alltag eingenommen.
Zuletzt waren Deutsche im Durchschnitt eine Stunde und 39 Minuten pro Tag auf sozialen Netzwerken unterwegs. Besonders häufig genutzt werden Instagram, Facebook, Snapchat, TikTok und X (Twitter). Am meisten Zeit verbringen wir auf den Videoplattformen TikTok und YouTube.
Und der Trend zeigte zuletzt immer steil bergauf.
Wem oder was widmen wir da eigentlich unsere wertvolle Aufmerksamkeit?
Einer mittlerweile überbordenden Flut an Bildern, Clips, News, Schlagzeilen, Meinungen, Trends, Challenges, Life Hacks, Memes, Redefetzen, Werbung, Schlagzeilen, Links, Stories, Emojis, Infohäppchen, Kommentaren und und und.
Banalitäten. Aufgepustet zu FOMOs, die wir auf keinen Fall verpassen dürfen. Zum Einstieg, damit wir mitreden, später, weil wir nicht mehr aufhören können.
Social Media macht süchtig. Scrolling ist das neue Rauchen und Sitzen.
Verweildauer und Interaktion
Dass unsere Aufmerksamkeit in den sozialen Medien gebannt wird, liegt auch daran, dass die Plattformen und ihre Inhalte immer verführerischer werden:
- die Social Media-Plattformen werden immer weiter dahingehend optimiert, dass wir möglichst viel Zeit auf ihnen verbringen. Denn je größer die Verweildauer, desto mehr Geld kann an uns mit Werbung verdient werden.
- die Content Creator professionalisieren die Inhalte, die sie in den sozialen Medien veröffentlichen, dahingehend, dass sie möglichst viele Interaktionen hervorrufen.
So lässt sich etwa beobachten, dass die Vorschläge auf den verschiedenen Startseiten immer personalisierter werden. Vorschläge beruhen mit extrem hoher Trefferwahrscheinlichkeit auf Basis unseres bisherigen Verhaltens und dem Nutzungsverhalten anderer. Besonders erfolgreiche Formate wie Kurzvideos erobern nach und nach alle Plattformen.
Die Inhalte selbst werden immer auffälliger und emotionaler. Sie sollen Reaktionen (positiv wie negativ) provozieren. Die Schnitte in Videos folgen in immer kürzeren Abständen aufeinander. Erfolgt nach spätestens 7 Sekunden kein Schnitt, wird weitergeswipet.
So haben sich unsere Sehgewohnheiten in den letzten Jahren dramatisch verändert: Ein Actionfilm aus den 90er Jahren wirkt im Vergleich zu den meisten heutigen TikTok-Videos wie ein Meditationslehrgang.
Social Media soll süchtig machen
Schon Kleinkinder fühlen sich magnetisch von den bunten Bildschirmen angezogen und sind schlechter als Kaugummi wieder von ihnen zu lösen. Wir Erwachsene sind uns dessen vielleicht bewusster, aber im Handeln daraus Ableiten nicht viel besser.
Die Plattformbetreiber und die Kanäle, denen Du folgst, wollen, dass Du Social Media verfällst. Alles, wirklich alles in den sozialen Medien ist so eingerichtet, dass Du maximal viel Zeit dort verbringst.
Doch diese Erkenntnis allein reicht noch nicht aus, um etwas zu verändern. Wenn wir unsere Aufmerksamkeit zurückholen wollen, müssen wir lernen, mit dieser ständigen Verführung umzugehen. Wie mit jeder anderen Droge auch.
Aufmerksamer Umgang mit sozialen Medien
Um Deine Aufmerksamkeit zurückzugewinnen, musst Du Deinen Umgang mit den sozialen Medien besser in den Griff bekommen.
Eine gute Möglichkeit, sich das Verhalten gegenüber sozialen Medien bewusst zu machen ist Digitalfasten, also das konsequente Verzichten darauf für einen gewissen Zeitraum. Dann wird nicht nur verblüffend viel Zeit für andere Dinge frei. Nach einer solchen Auszeit sind wir auch deutlich achtsamer beim erneuten Aufrufen digitaler Inhalte.
Allerdings hält der positive Effekt eines Digital Detox meist nur kurz an.
Für einen kompetenten Umgang mit sozialen Medien, der den Alltagstest besteht, helfen uns gute Gewohnheiten.
Gute Gewohnheiten im Umgang mit sozialen Medien, die jeder einüben kann, können z.B. bestimmte Bildschirmzeiten an Wochentagen und am Wochenende umfassen, das Einrichten von Bitte-nicht-stören-Funktionen während der Arbeitszeit oder das Laden des Smartphones außerhalb des Schlafzimmers.
Etablierte Routinen wie diese geben uns Freiraum im Alltag – vor allem in Phasen, in denen Konzentration und Aufmerksamkeit unbedingt erforderlich sind.
Gute Gewohnheiten sind aber immer nur so stark, wie unsere Überzeugung, damit das Richtige zu tun. Wenn uns der Sinn des Ganzen nicht wirklich aufgegangen ist, sind sie auch mit viel Disziplin nicht auf Dauer durchzuhalten und in schwachen Momenten fallen wir leicht in alte Muster zurück.
Worin liegt also der tiefere Sinn eines bewussten Umgangs mit unserer Aufmerksamkeit und den sozialen Medien?
Der Sinn dahinter
Diese Frage nach dem Sinn bringt uns zu nichts Geringerem als dem Wesentlichen in unserem Leben – kurz gesagt unseren Werten, Zielen und Beziehungen.
So lange, wie wir nicht das wirklich Wichtige für uns identifiziert haben, kann uns gar nicht bewusst sein, dass wir uns ablenken und Zeit vergeuden – zum Beispiel durch überflüssigen Konsum oder eben soziale Medien.
Minimalismus ist eine Methode, das für Dich Wichtige in Deinem Leben herauszufinden. Ich habe auf diesem Blog oft darüber geschrieben, z.B. in Minimalistisch leben: Die 5 besten Tipps für Einsteiger, 13 Fragen, die Dir das Ausmisten erleichtern und 15 minimalistische Verbesserungen für Deine Wohnung.
Durch die Reduktion des Überflüssigen wird Dir immer klarer werden, was Du wirklich willst. Dass Du Deine Aufmerksamkeit dann mehr und mehr genau dorthin lenken willst, folgt anschließend aus tiefer, innerer Motivation heraus.
Eine Abkürzung
Minimalismus ist ein Prozess, für den man sich Zeit nehmen sollte. Zum Abschluss dieses Artikels möchte ich Dir noch eine Art Abkürzung anbieten.
Wirklich die Augen geöffnet für die traurige Verschwendung von Aufmerksamkeit in Form von Lebenszeit in den sozialen Medien hat mir die folgende kleine Rechenaufgabe. Ich lade Dich ein, sie einmal für Dich durchzuführen:
- Zunächst schätzt Du die Zeit, die Du momentan täglich in den sozialen Medien verbringst (in Stunden)
- Dann bezifferst Du die Dir (rein statistisch) verbleibende Lebenszeit. Dazu ziehst Du Dein aktuelles Alter von der durchschnittlichen Lebenserwartung ab. In Deutschland sind das rund 83 Jahre für Frauen und 78 Jahre für Männer. Genaue Daten für jeden Geburtsjahrgang findest Du hier.
- Zuletzt führst Du folgende Multiplikation aus:
Zeit in sozialen Medien x 365 x geschätzte verbleibende Lebenszeit = ?
Wenn Du das Ergebnis noch durch 24 teilst, erhältst Du die Zahl der Tage, die Du ab sofort bis zum (geschätzten) Ende Deines Lebens in sozialen Medien verbringen wirst, wenn Du genauso weitermachst wie bisher.
Als ich meine Zeit ausgerechnet habe, bin ich bei fast zwei Jahren gelandet. Noch fast zwei volle Jahre meines Lebens ununterbrochen in den sozialen Medien! Das ist mir definitiv zu viel.
Wie fühlst Du Dich mit Deiner Zahl?
Ich freue mich auf Deinen Kommentar!
Zum Weiterlesen empfehle ich Dir besonders folgende Artikel:
- So bekommst Du Deine Screen Time in den Griff
- Warum ich meinen Instagram-Account gelöscht habe
- Wie Du herausfindest, wann Du genug hast
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Ich finde es wichtig, die Mechanismen hinter dem Dauerscrollen zu verstehen. Damit wird man automatisch wachsamer gegenüber dem eigenen Verhalten. Und es sind ja nicht nur die Sozialen Medien, mit denen manche ihre Zeit verbringen. Generell ist uns der Griff nach dem Smartphone beim kleinsten Anflug von Langeweile ja schon ins Blut übergegangen. Wenn man das mal ganz ehrlich zusammenrechnet, sind es wahrscheinlich noch mehr als zwei Jahre 😳
Liebe Vanessa,
Du hast recht – soziale Medien machen nur einen Teil der Dinge aus, die uns täglich unsere Aufmerksamkeit rauben. Die insgesamt verschwendete Zeit möchte man lieber nicht ausrechnen 🙂
Viele Grüße
Rebecca
1,875 Jahre… natürlich auch viel zu viel.
Toller Artikel, sehe es genauso wie du. Problem bewusst machen und mit der Problemlösung anfangen.
Es gibt so viel mehr auf der Welt als durch die Story´s/Feed´s/was auch immer zu scrollen.
Lieber Nico,
so ist es.
Vielen Dank für Deinen Kommentar und liebe Grüße
Rebecca